🏛️ Geschichte der Äußeren Neustadt
Von der Heide zur Antonstadt
Die Anfänge - "Auf dem Sande"
Im Mittelalter war das Land vor den Toren Altendresdens noch von Heidewald bedeckt. Durch Rodungen des Waldes entstanden große Kahlflächen, die im Lauf der Zeit immer mehr verödeten und versandeten. Daher erhielt das Gebiet den Namen "Auf dem Sande" - wegen des sandigen Waldbodens der ehemaligen Dresdner Heide.
Daraufhin ließ August der Starke die unfruchtbare Fläche 1701 zur Bebauung freigeben. Bürger der Stadt, aber auch Arme aus Böhmen siedelten sich in der Folgezeit hier an. Die heutige Böhmische Straße zeugt davon.
Die Entstehung der Antonstadt (1835)
1832 wurden die ersten Straßenzüge geplant und 1835 wurde das Gebiet als Stadtteil eingemeindet. Nach Dresden eingemeindet und zu Ehren des Königs Anton als "Antonstadt" bezeichnet. Der sächsische König Anton (1827-1836) gab dem Viertel damit seinen historischen Namen.
Gottlob Friedrich Thormeyer entwickelte die ersten Baupläne und plante die Straßenzüge, die vom zentralen Martin-Luther-Platz ausgingen.
Erste Industrieansiedlungen
1823 errichteten die Geschäftsleute Gottfried Heinrich Christoph Jordan und Friedrich Timäus eine der bedeutendsten Firmen: Die Chocoladen- und Cichorienfabrik zwischen der heutigen Timaeusstraße und Jordanstraße. Hier stellten sie im Jahre 1839 die erste Milchschokolade der Welt her.
Weitere frühe Betriebe:
- Eine Gießerei
- Eine Alaunfluss-Siederei
- Eine Zichorienfabrik
Die Gründerzeit (1870-1914)
Der große Boom kam mit der Industrialisierung. Ganze Straßenzüge und Plätze entstanden neu, der Martin-Luther-Platz wurde angelegt, die Garnisonskirche und die Albertbrücke gebaut.
Architektur der Gründerzeit
Man errichtete mehrstöckige Mietshäuser, liebevoll gestaltet mit Details des Klassizimus und der Neostile der Gründerjahre, aber auch schon mit Jugendstilelementen an Fassaden und im Inneren.
Besonderheit: Ein Großteil der Häuserensembles aus dieser Zeit steht heute noch, sodass die Äußere Neustadt als das größte zusammenhängende Gründerzeitviertel Europas bezeichnet werden kann.
Soziale Struktur
Den Hauptanteil der Bevölkerung stellten in diesen Jahren Arbeiter und Handwerker, gefolgt von Beamten und Akademikern. Die Etagenebenen der Häuser spiegelten den sozialen Status wider - je höher die Etage, desto niedriger der gesellschaftliche Status.
Die "Goldenen Zwanziger"
Nach den Jahren der Inflation 1921 bis 1923 kamen die „goldenen Zwanziger" - eine Zeit nicht nur des wirtschaftlichen, sondern auch sozialen und kulturellen Aufschwungs.
Schwere Zeiten (1929-1945)
Wirtschaftskrise
Die Jahre der Wirtschaftskrise von 1929 bis 1933 hinterließen ihre Spuren auch unter den Bewohnern der Antonstadt. Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit mit dem einhergehenden Abfall an Verdienst und Lebensqualität standen auf der Tagesordnung.
NS-Zeit
Nationalsozialistische Aktivitäten: Mitglieder der NSDAP trafen sich in ihren Stammlokalen, z.B. im Antonstädter Kasino oder bei Hollack's auf der Königsbrücker Straße. Die Buchhandlung Nestler wiederum war heimliche Anlaufstelle für Widerstandskämpfer. Nazionalsozialistische Massenkundgebungen fanden auf dem Alaunplatz statt.
Zweiter Weltkrieg
Die Folgen des Zweiten Weltkriegs, die schweren Bombardierungen Dresdens trafen auch die Neustadt, allerdings nicht in gleichem Maße wie die Altstadt, wo die Zerstörungen wesentlich verheerender waren.
DDR-Zeit und Verfall (1945-1989)
Geplanter Abriss
Der flächenhafte Abriss vieler Quartiere des Stadtteils und die ersatzweise Errichtung von Plattenbauten wurden geplant. Auch für die anderen Teile der Äußeren Neustadt lagen Abrisspläne vor.
Sozialer Niedergang
30 Prozent aller Wohnungen stehen leer. Die anderen verfallen, was die soziale Abwertung ihrer Bewohner nach sich zieht.
Die Wende und Rettung (1989-1993)
Bürgerinitiative
Die Bürgerinitiative IG Äußere Neustadt gründet sich mit dem Ziel einer behutsamen Erneuerung des Stadtteils. Bis zu ihrer Auflösung im Jahr 2006 gibt sie viele Impulse für die Stadtteilentwicklung.
Hilfe aus Hamburg
Die Freie und Hansestadt Hamburg schickt auf einen Hilferuf der IG Äußere Neustadt hin Architekten und 3,0 Millionen Euro in den Stadtteil. Damit finanziert sie Dachnotreparaturen, vorbereitende Planungen für Spielplätze und das Nordbad sowie die Sanierung der Pulsnitzer Straße 10.
Sanierungsgebiet
März 1991: Die Stadtverordnetenversammlung erklärt die Äußere Neustadt zum förmlich festgelegten Sanierungsgebiet. Nach bundesdeutschem Vorbild waren die Sanierung für 15 Jahre, zwölf Millionen DM Städtebaufördermittel, eine Veräußerungssperre für Grundstücke und der Schutz der Bewohner vor unzumutbaren Mieterhöhungen vorgesehen.
Die Bunte Republik Neustadt (1990)
22.-24. Juni 1990: Für die Zeit vom 22. bis 24. Juni 1990 wurde die Bunte Republik Neustadt proklamiert und in einem großen Stadtteilfest gefeiert.
Eine „ordentliche provisorische Regierung" wurde gebildet, geleitet von einem „Monarchen ohne Geschäftsbereich" und Ministern für „Wehrkraftzerfetzung", „Pfuinanzen und andere Kirchenfragen", „Unkultur und Unterseeboote" sowie weitere.
Symbolik: Als Zahlungsmittel kreierten die Aktionisten die „Neustadtmark". Diese konnte in Wechselstuben mit dem Wechselkurs zur „Ostmark" von 1:1 und zur „Westmark" von 1:2 eingetauscht werden. Auf der eigens kreierten Flagge prangte auf schwarz-rot-gelbem Grund ein Micky-Maus-Kopf in einem Ährenkranz.
Historische Bauwerke
Martin-Luther-Kirche
Sie ist ein Werk des Historismus, entstanden 1883 bis 1887. Neoromanische und neogotische Stilelemente hat man in ihrem Bau vereint. Ihr 81 Meter hoher Turm wacht als markantes Zeichen über der Äußeren Neustadt.
Alter Jüdischer Friedhof
Unweit vom Martin-Luther-Platz befindet sich der Alte Jüdische Friedhof. 1751 wurde er für die Juden in Sachsen angelegt, über 1200 jüdische Bürger hat man hier im 18. und 19. Jahrhundert beigesetzt. Er gilt als der älteste erhaltene jüdische Friedhof in Sachsen.
Artesischer Brunnen
Zur Wasserversorgung der Äußeren Neustadt wurde am Albertplatz ein 240 Meter tiefer Brunnen gebohrt. Hans Erlwein setzte auf diese Bohrung 1906 den Artesischen Brunnen am Albertplatz auf. Da das Wasser eine konstante Temperatur von 13 °C hat, wird der Brunnen ganzjährig betrieben.
Traditionelle Unternehmen
Leowerke / Chlorodont
Im Jahr 1917 bezogen die aus dem Laboratorium Leo des Apothekers Ottomar von Mayenburg hervorgegangenen Leowerke ihre Räume an der Katharinenstraße 4, um dort die Chlorodont-Zahnpasta zu produzieren. Schnell wurde die Fabrik die Zentrale für ein weltweit operierendes und produzierendes Unternehmen. Das Nachfolgeunternehmen Dental Kosmetik GmbH & Co. KG Dresden befindet sich dort noch heute.
H.K. Versand
In der Louisenstraße 13 befand sich der 1899 gegründete Hannes Kästner Versand (H.K. Versand), das wohl bekannteste Versandhaus der DDR. Man verschickte diskret an 30.000 Kunden Kondome (Marke „Mondos"), Hygieneartikel und Kosmetika.
Die Geschichte der Äußeren Neustadt ist eine Geschichte des Wandels - von der sandigen Heide zur blühenden Antonstadt, durch Verfall und Bedrohung bis hin zur erfolgreichen Sanierung als Europas größtes Gründerzeitviertel.