Am 14. Juni 2025 verwandelt sich Dresden wieder in eine einzige große Kulturlandschaft: Die Lange Nacht der Museen öffnet über 45 Ausstellungsräume für sechs Stunden kultureller Entdeckungsreise. Im Stadtteilhaus Dresden Äußere Neustadt erwartet Besucher dabei eine ganz besondere Zeitreise – eine Expedition in die rebellische Seele eines Viertels, das sich seit Jahrzehnten seine Eigenart bewahrt hat.
"Ist die Neustadt ein gallisches Dorf in Dresden?"
Mit einer provokanten Frage startet das Stadtteilhaus in die Museumsnacht 2025: "Nach der Wahl ist vor der Wahl – Ist die Neustadt ein gallisches Dorf in Dresden?" Die Sonderausstellung wirft einen unverstellten Blick auf die Protestgeschichte der Äußeren Neustadt und fragt, warum gerade hier bürgerschaftliches Engagement, Widerstand und kreative Rebellion so tief verwurzelt sind.
Die Parallele zu Asterix' gallischem Dorf ist dabei nicht zufällig gewählt: Wie die unbeugsamen Gallier inmitten des römischen Imperiums behauptet sich die Äußere Neustadt als Ort alternativer Lebensentwürfe und kritischer Stimmen – manchmal gegen den Mainstream, oft gegen etablierte Strukturen, immer mit einem ausgeprägten Sinn für Gemeinschaft und Selbstbestimmung.
Von den BRN-Krawallen bis zum Cornern-Konflikt
Die Ausstellung spannt einen weiten Bogen durch die Protestgeschichte des Viertels. Ein zentraler Punkt sind die handfesten Auseinandersetzungen rund um die Bunte Republik Neustadt (BRN), jenes legendäre Stadtteilfest, das 1990 in einer "Bierlaune" als Mikronation ausgerufen wurde und sich über die Jahre zu einem der größten Straßenfeste Deutschlands entwickelte.
Was als visionäres Projekt einer neuen Gesellschaftsform begann – komplett mit Monarchen ohne Geschäftsbereich und Ministern für "Wehrkraftzerfetzung" und "Volksentblödung" – geriet 2001 zu einem abrupten Ende, als Ausschreitungen das Fest zu Fall brachten. Die Ausstellung beleuchtet diese Zeit des Umbruchs und zeigt, wie aus der ursprünglich links-alternativen Vision ein Massenspektakel wurde, das schließlich an seinen eigenen Widersprüchen zerbrach.
Gentrifizierung und der Kampf um Freiräume
Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Zeit nach der Wende, als die Äußere Neustadt von Leerstand geprägt war – ideale Bedingungen für kreative Köpfe und alternative Lebensentwürfe. Doch mit der Sanierung kam die Gentrifizierung: Räume wurden knapp, Freiräume verschwanden, und der Streit um sogenannte "Dritte Orte" entbrannte.
Die Ausstellung zeigt, wie tief die Debatte um Nutzung und Gestaltung des öffentlichen Raums in der Neustadt verwurzelt ist. Von den geräumten "Oasen" bis zu den heutigen Konflikten um bezahlbaren Wohnraum – der Kampf um die Seele des Viertels zieht sich wie ein roter Faden durch die Jahrzehnte.
Die Schiefe Ecke: Brennpunkt der Konflikte
Besonders eindrucksvoll dokumentiert die Ausstellung den jüngsten großen Konflikt um das "Cornern" an der berühmten Schiefen Ecke. Die Kreuzung Louisenstraße/Rothenburger Straße/Görlitzer Straße entwickelte sich über Jahre zu einem beliebten Treffpunkt, an dem sich Menschen zum entspannten Beisammensein versammelten.
Was für viele ein Symbol für die lebendige Straßenkultur der Neustadt war, führte jedoch zunehmend zu Konflikten: Anwohner beklagten nächtliche Ruhestörungen, Gewerbetreibende ärgerten sich über Vermüllung und Glasscherben. Zeitweise hielten sich bis zu 1000 Personen im Kreuzungsbereich auf, was 2020 zu einer Verschärfung der Problematik führte.
Mit eindrucksvollen Fotografien von Peter Zuber beleuchtet die Ausstellung, welche unterschiedlichen Bedürfnisse und Interessen an diesem symbolträchtigen Ort aufeinandertreffen. Der Konflikt eskalierte bis vor Gericht und zeigt exemplarisch, wie schwierig es geworden ist, verschiedene Nutzungsansprüche im öffentlichen Raum zu vereinbaren.
Bürgerliche Mobilisierung: Nicht nur links ist politisch
Die Ausstellung zeigt aber auch, dass Protest in der Neustadt nicht nur von links kommt. Die bürgerlichen Initiativen gegen Bauprojekte wie das geplante Parkhaus auf der Kamenzer Straße demonstrieren, wie sich auch etablierte Bewohner für die Erhaltung ihres Viertels engagieren.
Diese Vielfalt des Protests – von anarchistischen Hausbesetzungen bis zu bürgerlichen Bürgerinitiativen – macht deutlich, dass die Neustadt tatsächlich ein besonderer Ort ist: Ein Stadtteil, in dem politisches Engagement selbstverständlich ist und in dem Menschen verschiedenster Couleur bereit sind, für ihre Überzeugungen einzustehen.
Kino-Highlight: "Die Gentrifizierung bin ich"
Ergänzt wird die Ausstellung durch eine besondere Filmvorführung: Von 18 bis 24 Uhr läuft durchgehend "Die Gentrifizierung bin ich. Beichte eines Finsterlings" von Thomas Haemmerli aus dem Jahr 2017.
In diesem klugen, autobiografisch gefärbten Dokumentar-Essay führt der Schweizer Filmemacher durch verschiedene Lebensstationen: vom Zürcher "Reichenghetto" über besetzte Häuser bis in Metropolen wie Tiflis, São Paulo und Mexiko-Stadt. Der Film beleuchtet Themen wie Stadtentwicklung, Wohnkultur, soziale Verdrängung und Fremdenfeindlichkeit – mal provokant, mal augenzwinkernd, immer persönlich.
Die Frage "Wie verändert sich eine Stadt – und welche Rolle spielen wir selbst dabei?" ist hochaktuell für die Neustadt, die sich in einem anhaltenden Wandlungsprozess befindet. Der Film bietet eine kritische Reflexion über die eigene Rolle in Gentrifizierungsprozessen und regt zum Nachdenken über alternative Stadtentwicklung an.
Das Stadtteilhaus als lebendiges Archiv
Das Stadtteilhaus selbst ist ein Symbol für die Beharrlichkeit der Neustädter Kultur. Das 1895 errichtete Gebäude in der Prießnitzstraße 18 war lange dem Verfall preisgegeben, bis es in den 1990er Jahren von engagierten Bürgern gerettet wurde. Seit 1998 beherbergt es unter anderem das BRN-Museum, das Stadtteilarchiv und die Kleinkunstbühne WANNE.
Das BRN-Museum entstand 2006 aus einer "Schnapsidee" und entwickelte sich zu einem wichtigen Gedächtnis des Viertels. Hier werden nicht nur Erinnerungen an die legendären BRN-Feste gesammelt, sondern die gesamte lebendige Geschichte der Neustadt dokumentiert – von den ersten Tagen nach der Wende bis zu den aktuellen Herausforderungen.
Museumsnacht Dresden 2025: Ein kulturelles Ereignis
Die Sonderausstellung im Stadtteilhaus ist Teil der großen Museumsnacht Dresden 2025, die am 14. Juni von 18 bis 24 Uhr stattfindet. Über 45 Museen und Ausstellungsräume öffnen ihre Türen für ein vielfältiges Programm aus Führungen, Mitmachaktionen, Musik und kulinarischen Angeboten.
Tickets für die Museumsnacht:
- Einzelkarte: 15 Euro
- Ermäßigungsberechtigte: 7,50 Euro
- Familienkarte: 30 Euro (für 2 Erwachsene und bis zu 4 Kinder unter 14 Jahren)
- Kinder unter 6 Jahren: frei
Das Ticket berechtigt zum Eintritt in alle teilnehmenden Häuser und zur kostenlosen Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel im VVO-Verbundraum von 14 Uhr bis 4 Uhr des Folgetages.
Ein Stadtteil sucht seine Zukunft
Die Ausstellung im Stadtteilhaus wirft letztendlich auch einen Blick in die Zukunft: Wie kann sich die Äußere Neustadt ihre Eigenart bewahren, ohne in Nostalgie zu erstarren? Wie lassen sich die verschiedenen Interessen von Alteingesessenen, Zugezogenen, Gewerbetreibenden und Kreativen vereinbaren?
Die Geschichte zeigt: Die Neustadt war schon immer ein Ort des Wandels und der Aushandlung. Von den ersten Protesten nach der Wende über die wilden BRN-Jahre bis zu den heutigen Gentrifizierungsdebatten – das Viertel hat sich stets neu erfunden, ohne seine Seele zu verlieren.
Praktische Informationen
Wann: 14. Juni 2025, 18-24 Uhr
Wo: Stadtteilhaus Dresden Äußere Neustadt, Prießnitzstraße 18, 01099 Dresden
Was: Sonderausstellung "Ist die Neustadt ein gallisches Dorf in Dresden?" + Filmvorführung
Tickets: An allen VVO-Vorverkaufsstellen und Fahrausweisautomaten
Die Ausstellung ist Teil der offiziellen Museumsnacht Dresden 2025. Weitere Informationen unter museumsnacht.dresden.de
Fazit: Mehr als nur Museum
Das Stadtteilhaus zur Museumsnacht 2025 zu besuchen, bedeutet mehr als nur eine Ausstellung anzuschauen. Es ist eine Begegnung mit der rebellischen DNA eines Stadtteils, der sich trotz aller Veränderungen seine Eigenart bewahrt hat.
In einer Zeit, in der viele Städte uniform werden und alternative Räume verschwinden, zeigt die Äußere Neustadt: Es geht auch anders. Nicht ohne Konflikte, nicht ohne Widersprüche, aber mit dem unbeugsamen Willen zur Selbstbestimmung.
Wie die Gallier bei Asterix behaupten sich die Neustädter gegen alle Vereinnahmungsversuche – und das ist gut so. Denn Städte brauchen Orte wie die Äußere Neustadt: widerspenstig, kreativ und immer für eine Überraschung gut.
Die Neustadt als gallisches Dorf? Nach einem Besuch in der Ausstellung wird klar: Das ist nicht nur eine charmante Metapher, sondern Programm.
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